Noch mehr über Natschiwan
Von Dorian Rogozenko
Nach
dem positiven Feedback auf meinen vorangegangenen Bericht von den Juniorenweltmeisterschaften wurde mir klar, dass die Menschen ein echtes Interesse
daran haben, mehr über Geschichte, Kultur und Geografie fremder Nationen zu
erfahren, vor allem, wenn es um ein Land wie Aserbaidschan geht.
Die
Daten meines letzten Berichts basierten hauptsächlich auf Gesprächen mit
Ortsansässigen; heute werde ich mit ein paar ganz exakten Informationen über
Natschiwan aufwarten.
Die
“Insel”, von der ich letztes Mal sprach, die vom Hauptteil Aserbaidschan
isoliert ist, nennt sich Autonome Republik Natschiwan. Die hiesige Bevölkerung
umfasst 350.000 Menschen (1998). Die Juniorenweltmeisterschaft wird in der
Hauptstadt der Autonome Republik Natschiwan ausgetragen – der Stadt Natschiwan,
mit 67.523 Einwohnern (1998). Die exakte Entfernung zwischen Natschiwan und Baku
(der Hauptstadt Aserbaidschans) beträgt 536 Kilometer.
Die
Autonome Republik Natschiwan ist ein typisches Bergland. 32% des Territoriums
(Ebenen am Araz-Fluss) liegt 600-1000 Meter über dem Meeresspiegel, 48% bis
2000 Meter und 20% oberhalb 2000 Meter. Es ist das älteste aserbaidschanische
Land, mit einer viele Jahrhunderte währenden Geschichte und einer Fülle an Kulturmonumenten.
Mit
einem Alter von 3.500 Jahren ist Natschiwan eine der berühmtesten antiken Städte
im Nahen Osten. Neueste Forschungen ergaben, dass das Wort Natschiwan
von
’Nahunte’ aus der Sprache der Elamiter (Südiran) abgeleitet ist. Gebäude in Natschiwan Stadt
sind wissenschaftlich auf 1539 v.C. zurückdatiert.
Im Lauf seiner Geschichte wurde Natschiwan,
kulturelles und industrielles Zentrum der Region, von vielen Herrschern
angegriffen. Nach dem zweiten russisch-iranischen Krieg (1826-1828) wurde das
Territorium schließlich von Russland annektiert.
Nach
der Revolution im Februar 1917 fand am 15. April des gleichen Jahres in Baku ein
Kongress kaukasischer Moslems statt, und nach langen Disputen wurde beschlossen,
eine territoriale Föderation zu gründen.
Am
28. Mai
1918 rief man die Volksrepublik Aserbaidschan aus, deren Regierung sofort von
der Türkei anerkannt wurde. Doch auf Grund der instabilen inneren Situation in
der Türkei marschierten die Russen im April 1920 in Aserbaidschan ein.
Aserbaidschan wurde Teil der Sowjetunion – die Sozialistische Sowjetrepublik
Aserbaidschan. Das Territorium der Autonomen Republik Natschiwan wurde gemäß der Vereinbarung von Moskau vom
16. März 1921 und von Gars vom 13. Oktober 1921 als Bestandteil der
Aserbaidschanischen SSR festgelegt.
Ende
1980 führte der Zerfallsprozess der ehemaligen UDSSR dazu, dass der Konflikt
zwischen der Bevölkerung Aserbaidschans und Armeniens wieder aufflammte. Dieses
heiße und kontroverse Thema beiseite lassend, möchte ich nur erwähnen, dass
gegenwärtig die Beziehungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern nach wie
vor sehr gespannt sind.
Der
nationale Stolz des Volkes von Aserbaidschan ist leicht zu bemerken. Westlern
werden allerdings einige Dinge ungewöhnlich erscheinen, so wie die vielen
Nationalflaggen oder die sogar noch zahlreicheren Porträts des Präsidenten von
Aserbaidschan, Mr. Haydar Aliyev. So gibt es z.B. den Haydar-Aliev-Park oder gar
ein Haydar-Aliev-Museum. Aber wie bereits in meinem früheren Bericht erwähnt,
ist das Wohlwollen der lokalen Bevölkerung sehr beeindruckend. Eine derart
respektvolle Haltung gegenüber Schachspielern habe ich sonst nur während der
Schacholympiade in Elista 1998 erlebt.
Auf
die Juniorenweltmeisterschaften zurückkommend, die Atmosphäre zwischen den
Spielern ist großartig. Am Abend vor dem Ruhetag waren viele Teilnehmer in
einer Disco; am Ruhetag selbst gab es schöne Sightseeing-Trips, während am
Nachmittag ein Fußballturnier mit Mannschaften aus Schachspielern und sogar
Schiedsrichtern organisiert wurde. Ein interessanter Moment, um sich ein
besseres Bild von der spezifischen Situation hier zu machen. Wenn nachts ein
Spieler aus der Disco gehen wollte, um einen Spaziergang zu machen, wurde er von
einem der Sicherheitsleute aufgehalten, mit der Begründung, dass wir nicht
allein in die Stadt gehen durften. Nach einer langen Diskussion mit dem
Sicherheitschef, um den Grund für dieses Verbot zu erfahren, sagte er, „Okay,
wir können es euch nicht untersagen, aber wenn ihr ausgehen wollt, muss
ich wissen, wann und wohin“. Der Wunsch auszugehen schwand irgendwie...
Nach
dem Ruhetag begannen einige Probleme aufzutauchen. Im Hotel gab es ein paar
seltsame Vorfälle. Die größte Enttäuschung aber war, dass der holländische
IM Jan Werle auf Grund einer Lebensmittelvergiftung aus dem Turnier ausscheiden
musste.
Medizinische
Betreuung und Veranstalter taten alles, um Jan zu helfen, aber nach langer Überlegung
entschlossen wir, dass es keinen Sinn hatte, das Turnier unter Krankheit
fortzusetzen (ich bin Jans Trainer hier).
Das
war sehr schmerzvoll, umso mehr, da dass Turnier für Jan sehr gut lief. Bereits
in der 7. Runde, bei der Begegnung gegen GM Azarov, klagt er über üble
Magenprobleme. Während der Runde bekam er ein paar Pillen, aber auf Grund
seines schlechten Zustands gelang es ihm nicht, die Partie zu einem logischen
Abschluss zu bringen; er musste Remis geben, in absoluter Gewinnstellung mit
Mehrfigur.
Im
achten Durchgang (mit 4,5 aus 7) konnte Werle überhaupt nicht spielen; nach
anderthalb Stunden Figurenschieben gab er auf, und wir fuhren sofort ins
Krankenhaus. Die Diagnosen waren widersprüchlich (er wurde von diversen
Spezialisten konsultiert). Es machte keinen Sinn, hier all die Befunde
aufzulisten, die ich während mehrerer Stunden in zwei Krankenhäusern zu hören
bekam. Tatsache ist, Jan Werle fühlte sich so schlecht, dass bald klar wurde,
dass er das Turnier nicht würde beenden können.
Wegen
dieses Vorfalls war mir eigentlich gar nicht danach, diesen Bericht überhaupt
zu schicken, aber er wurde geschrieben, bevor all dies passierte, also hier ist
er.
Der
Stand bei den Jungen nach der 9. Runde:
1 Mamedyarov
– 7,0 aus 9
2-5
Harikrishna, Ganguly, Azarov, Zubov – 6,5
Die
Partien der Runden 1 bis 10 zum Nachspielen...
Mädchen:
1
Dzagnidze 7 aus 7 (!!)
2
Dronavalli 5,5
6
Spieler mit 4,5 Punkten
Die
Partien der Runden 1 bis 8 zum Nachspielen...
Die
offizielle Seite: http://www.chess.az/eng